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Valentina Dietrich: Jung in der Krise

Foto: Valentina Dietrich
Foto: Valentina Dietrich

 Als ich noch klein war, wollte ich unbedingt groß werden. Die ersten Tage im Kindergarten, die allerersten Schultage waren schön und spannend. Trotzdem wünschte ich mir insgeheim, älter zu werden. Sehnsüchtig erwartete ich meine Geburtstage und freute mich immer, wenn sich ein Jahr dazu addierte, vorausblickend auf meine Teenagerjahre und die Vorteile, die daraus resultieren würden. Die sah ich vor allem darin, nicht mehr zu anderen aufblicken zu müssen, abends länger aufbleiben zu dürfen und natürlich einen ersten Freund zu haben. Schließlich wurde ich also 12, 13, 14 und erreichte damit ein Ziel meiner frühen Kindheit. Viele der Dinge, bei denen ich mir vorgestellt hatte, wie sie sein würden, liefen fast genauso ab. Um es zusammenzufassen, lebte ich also meinen Traum. Dann wurde ich 15. Im Frühjahr nach meinem Geburtstag tauchte plötzlich ein neues Virus in Asien auf. Zunächst war ich nicht besonders beunruhigt, denn normalerweise sprang eine solche Krankheit eher nicht nach Deutschland über. Auf einmal tauchten jedoch die ersten Fälle hier auf und ließen alles so real wirken. In der Schule breitete sich langsam, aber sicher, Skepsis aus. Wir fragten uns, ob wir deswegen nach Hause geschickt werden würden. Doch für eine Weile passierte nichts. Unsere Lehrer versicherten uns, dass ein sogenannter Lockdown sehr unwahrscheinlich wäre.

 

März 2020. Vom einen auf den anderen Tag schließt meine Schule. Alles wird auf „Homeoffice“ umgestellt, für mich ist erst mal unklar, wie es weitergeht. Viele Veranstaltungen, die mir wichtig waren, fallen weg, so zum Beispiel ein Chorkonzert auf dem Hessentag und ein Schülerpraktikum. Wenigstens die Supermärkte haben noch geöffnet, so begleite ich meine Mutter häufig zum Wocheneinkauf. Das erste Mal vor leeren Mehl- und Wasserregalen zu stehen, gibt mir ein ungutes Gefühl. Alle sprechen von „Hamsterkäufen“, ein Wort, dass ich als ausgestorben vermutet hatte. Vielleicht kommt die Auferstehung des Tyrannosaurus Rex ja auch bald, denke ich mit einer Portion Optimismus im Gepäck. Doch auch der wird mir bald übelgenommen werden. Während es draußen Sommer wird, die Infektionszahlen sinken und alles wieder aufgeht, merke ich, dass sich mir nahestehende Personen und solche die ich meinte zu kennen, verändert haben. Nicht am Charakter, aber an ihrer Haltung zum Corona Virus. Bei einem Versuch, Positives an der Situation aufzuzeigen, werde ich harsch kritisiert. Es liegt angestaute Aggression in der Luft und ich beschließe, mich vorerst zurückzuhalten und über den Sommer an etwas anderes zu denken.

 

August 2020. Die Schule öffnet wieder und alle Schüler gehen hin. So banal der Satz klingt, so unwirklich scheint er geworden zu sein. Trotzdem freue ich mich über dieses Stück Normalität. Noch. Während es Herbst wird, steigen die Infektionszahlen dramatisch an. Meinen 16. Geburtstag feiere ich im Beisein meiner zwei Freundinnen in einem Restaurant, kurz vor dem November-Lockdown. Doch auch der bringt keine Besserung mit sich. Stattdessen infizieren sich immer mehr Leute. An einem Tag sind es fast 30.000, und ich gehe immer noch zur Schule. Es ist dieser Moment, indem ich mich zum ersten Mal von der Politik alleingelassen fühle und es mit der Angst zu tun bekomme. Ich traue mich kaum, meine Maske noch irgendwo abzusetzen, und wenn ich mein Handdesinfektionsmittel irgendwo vergesse, ist das ein halber Weltuntergang. Die Weihnachtsfeiertage verbringe ich zu Hause, stoße an Silvester für ein besseres 2021 an. Dazu wird es jedoch vorerst nicht kommen.

 

Januar 2021. Der Schulbetrieb startet mit einem kaum enden wollenden Lockdown. Es gibt zwar mittlerweile eine Schutzimpfung, doch ich als Jugendliche gehöre zu keiner Priorisierungsgruppe. Fast 15 Wochen sitze ich daheim vor dem Bildschirm, teilweise in Zoomkonferenzen zugeschaltet. Ich fühle mich fast ein bisschen vergessen, einfach zuhause geparkt, wie ein Segelboot, dass mit dem man bei rauer See auch nicht fährt. Neben dem Alltag vermisse ich vor allem meine Freunde. Dann überschlagen sich die Lockerungen. Auf einmal gehe ich wieder in die Schule, treffe auf viele andere Schüler gleichzeitig. Das alles möglich durch einen Selbsttest. Er ist sozusagen meine Sicherheit. Aber manchmal bin ich mir selbst nicht sicher, ob die Testkassette und das dünne Wattestäbchen bei einem solch hohen Druck nicht ab und zu ein falsches Ergebnis ausspucken. Ich hoffe einfach, dass es nicht passiert, das ist schließlich das Einzige, was mir übrigbleibt.

 

Noch immer habe ich Angst davor mich zu infizieren. Eine Impfung könnte mir vielleicht eine Portion davon abnehmen, aber ich muss mich noch gedulden. Vielleicht gehört dieses Risiko aber auch irgendwie dazu, wenn man jung ist.

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    S.B. (Mittwoch, 09 Juni 2021 18:33)

    Ein wirklicher schöner Beitrag !

    S.