
Nachdem ich vorgestern begonnen habe, meinen Keller zu entrümpeln, was während der Corona-Krise ja viele tun, denke ich über die sprichwörtliche „Leiche im Keller“ nach. Wohnen hat viel mit dem inneren Seelenleben zu tun; das Entrümpeln wird einen Effekt auf meine Befindlichkeit haben. Da bin ich sicher.
08/15-Tagebücher
Während ich noch überlege, von welchem Ballast im Keller ich mich befreie, denke ich an die Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah in der „taz“, die sie über Corona-Tagebücher schrieb. Der Titel lautet „Fade wie Furzen“, denn sie ist der Meinung, dass zu viele Corona-Tagebücher geschrieben würden, die obendrein sehr belanglos seien. Dabei seien Tagebücher grundsätzlich etwas sehr Wichtiges, wobei sie Beispiele von Anne Frank, Kurt Cobain, Alice Walker und Frida Kahlo nennt.
Das 08/15-Corona-Tagebuch eines verkappten „Max Frisch“ im gutsituierten Eigenheim-Ambiente aber nicht. Interessanter fände sie Sichtweisen derjenigen Menschen, die keine Zeit zum Schreiben haben, da sie in systemrelevanten Berufen arbeiten.
Umstrittene Kolumnistin
Hengameh Yaghoobifarah ist übrigens die Journalistin, die meinte, dass Polizisten auf den Müll gehören und aufgrund zahlreicher Drohungen anschließend Polizeischutz gesucht haben soll. Die Kolumne mit den Polizisten finde ich daneben, über die Sache mit den übervielen Tagebüchern kann man indes nachdenken.
"Zu viel"
Mit dem Stichwort „zu viel“ bin ich wieder bei der Ausgangssituation. Kaum einen Gegenstand habe ich im Keller gefunden, den ich noch benutzen möchte, abgesehen von meinem künstlichen Weihnachtsbaum und etwas Waschmittel.
Als ich die erste Ladung Sperrmüll aus dem Keller zu meinem Auto trug, traf ich meine Nachbarin. Wir begannen eine Unterhaltung, kamen auf die Sorgen der Einzelhändler und dass meine Nachbarin beschlossen hat, sich dies Jahr nichts zu kaufen, weil sie „zu viele“ Sachen hat. Gleichwohl probierte sie eine Strickjacke in einem Laden, entschied sich aber dagegen und erklärte der Verkäuferin, wieso. „Aber man muss den Einzelhandel doch unterstützen“, soll die Händlerin gesagt haben.
Als Verkaufsargument ist das schon etwas zweifelhaft, denn nicht nur die Einzelhändler haben Probleme. Gleichwohl finde ich, es ist was dran. Im April während des Lockdowns kaufte ich denn auch großzügig bei befreundeten Geschäftsleuten ein. Blauäugig glaubte ich, dass mir ebenfalls ein privater Auftrag für Öffentlichkeitsarbeit erteilt wurde, um mich in der Corona-Zeit zu unterstützen. Ich fand das sehr nett und gab mir viel Mühe mit den PR-Texten. Ergebnis meiner Arbeit war, dass meine Auftraggeberin Besuch einer Bundestagsabgeordneten bekam. Als ich die Rechnung stellte, fiel sie allerdings aus allen Wolken: „Wie bitte? Die Zeitungen bezahlen Sie doch.“ Ich war sprachlos.
Chemische Substanzen
Zurück zu der „Leiche im Keller“. Ich denke nicht, dass es sich dabei um den Plunder handelt, den ich nach und nach rausschaffe. In einem Regalfach stehen allerdings chemische Substanzen herum, Lacke, Farben, Waschbenzin, Schimmel-Ex und dergleichen. Die werde ich zum Schadstoff-Mobil bringen.
Manchmal "giftig"
Gift also. Ich bin manchmal "giftig" zu Menschen, gestern etwa zum Verkäufer im Baumarkt, der jedes Mal, wenn ich etwas frage, erklärt: „Tut mir leid, ich bin nur Aushilfe.“ Genervt sagte ich ihm, dass ich ihm aus meiner langjährigen Berufserfahrung einen Tipp geben möchte: „Wenn ich etwas nicht weiß, bemühe ich mich trotzdem um den Kunden und ziehe einen Kollegen zu Rate.“ Ich glaube nicht, dass den jungen Mann meine Worte sehr beeindruckten, zumindest nicht in einem hilfreichen Sinn.
Ferner denke ich an die Trauerfeier für meine jüngst verstorbene Mutter zurück. In der Rede, die meine Schwester geschrieben hat, kam sie auf das Zyankali. Im Krieg war es anscheinend nicht unüblich, Gift mit sich zu tragen, um es im Fall einer Verschüttung oder Feuer im Bombenkeller zu nehmen. Meine Großmutter sagte zu meiner Mutter damals, sie müsse keine Angst vor den Fliegern haben, denn: „Ich habe das Gift ja dabei.“
Krallen ausfahren
Heißt das, um wieder zu meiner „Leiche im Keller“ zu kommen, dass ich aufhören soll, giftig zu sein? Manchmal denke ich, dass diese Eigenschaft nicht die Schlechteste ist, denn ich scheue mich nicht, meine Krallen auszufahren. Auf diese Weise bekam ich auch mein Geld, als die Auftraggeberin nicht zahlen wollte, und hatte somit während des Lockdowns keine Verluste.
Vorsätze bringen nichts
Ich lasse mich einfach überraschen und schaue, wie es wird, wenn der Keller ganz leer ist . . . Mir einfach vornehmen, nicht mehr giftig zu sein, dürfte nicht funktionieren. So etwas klappt einen Tag und man fällt in alte Verhaltensmuster zurück. Es muss von alleine kommen. Vielleicht tut sich auch einfach – nichts.
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