
Am 1. Mai erschien in der Wochenzeitschrift Die Zeit ein bemerkenswerter Artikel von Elisabeth Raether, Mark Schieritz und Bernd Ulrich zu den ökonomischen Auswirkungen der Krise. Über den möchte ich in diesem Blogbeitrag gerne ein paar Worte verlieren, da er viel Beachtung gefunden und den Diskurs beeinflusst hat.
Unter der Überschrift „Brauch’ ich das?“ (Spoiler: Nein!)
konstatieren die drei anlässlich der Corona-Krise das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Das ist jetzt nicht besonders
originell, liegt sozusagen auf der Hand, wird aber von den dreien ganz originell begründet. Die Krise führe demnach nicht nur zum Absterben einiger Branchen und den damit verbundenen heftigen
ökonomischen Schmerzen, so die Autoren, sondern auch zu einer allgemeinen Entspannung und lustvollen Entprofessionalisierung anderer Bereiche der Wirtschaft durch Home Office, sowie die
allgemeine Reise- und Konsumpause. Der Zeitdruck, die Geißel des Arbeitslebens, sei zurückgedrängt. Durch eingesparte Reise- und Logistikkosten erhöhe sich die Effizienz und Effektivität
zahlreicher Prozesse ganz deutlich.
Überraschender Weise vermissten die Menschen dabei vieles gar
nicht, das sie vorher für unentbehrlich gehalten hätten! Man habe keine Angst mehr, etwas zu verpassen, weil ohnehin nix los sei. Den Anderen gehe es auch nicht besser. Man reduziere sich auf das
Wesentliche. Das Konsumklima sei dadurch allerdings auf einem historischen Tiefpunkt und das habe möglicherweise fatale Folgen, wenn es andauere.
Der Einzelne empfinde keine Kauflust mehr, sondern führe sich im
Gegenteil vor Augen, für wieviel Unsinn er für gewöhnlich doch sein Geld ausgäbe und plötzlich erfolge, was die Autoren das „Verstummen der gregorianischen Gesänge im Konsumtempel“ nennen, den gegenwärtig vorherrschenden Schock-durch-Leere-Zustand. Die Läden hätten dann zwar offen, doch die
Kunden kämen nicht.
Eine mögliche Ursache: Die materialistisch-psychologische Bindung des Glücks an Konsum ist in
diesen sechs Wochen tatsächlich entkoppelt oder zumindest deutlich gelockert worden. Werbung wirkt plötzlich surreal. Sechs Wochen Entzug und die Konditionierungen sind außer Kraft
gesetzt.
Für die Autoren ist eine Rezession damit aber
unabwendbar, die Deglobalisierung habe bereits eingesetzt. Für ein exportorientiertes Land wie Deutschland eine ziemliche Herausforderung. Umso mehr gelte jetzt, worin Adam Smith und Karl
Marx übereinstimmten: Der Kapitalismus brauche Konsum, sonst sei er nicht lebensfähig.
Daher stehe jetzt alles auf dem
Spiel: Löhne, Steuereinnahmen, Sozialkassen . . . und es laufe deshalb zwangsläufig auf ein neues Wirtschaftssystem hinaus, auf eine nachhaltig wirtschaftende, intelligente Welt, die nicht
bloß auf relativ primitivem Wachstum in Umsatz, Menge, Rendite usw. beruht. Ökonomisch sei das alles rechen- und machbar, so die Autoren. Offen aber bleibe bislang, ob eine
Gesellschaft solchen Wandel überhaupt verkrafte.
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Rudi (Sonntag, 03 Mai 2020 16:43)
Alles gut nachvollziebar!